Liebe Leserschaft

Was Sie hier in der Hand halten, ist für uns Gefängnisseelsorgende ein Meilenstein!

Es liegt nämlich knapp 20 Jahre zurück als der Schweizerische Verein für Gefängnisseelsorge auf die damalige «Schweizer Anstaltsdirektorenkonferenz » zuging, um sich auf ein paar Grundsätze zu einigen, und zu definieren, wie eine gute Zusammenarbeit zwischen den Institutionen des Justizvollzugs und der Gefängnisseelsorge aussehen könnte.

In der Zwischenzeit hat sich vieles im Justizvollzug verändert und auch das Wirken der Gefängnisseelsorge hat sich weiterentwickelt, wie z.B. die Tatsache, dass wir interreligiös zusammenarbeiten. Darum hat der Vorstand nochmals einen Anlauf genommen und ist dieses Mal auf die «Konferenz der kantonalen Leitenden der Justizvollzugsanstalten» (KKLJV) zugegangen, um eine Neuauflage anzustreben. Mit viel Wohlwollen hat man dann das Anliegen von Seiten des KKLJV aufgenommen und eine Vernehmlassung bei allen Amtsleitenden der Kantone veranlasst. Das Endresultat dieses Prozesses ist nun das vorliegende Dokument, welches die Minimal-Standards für eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit neu definiert und bis zum kleinsten Gefängnis in einem abgelegenen Ort der Schweiz gelten soll.

Besonderen Dank möchte ich der Gesch.ftsführerin der KKLJV, Katja Schnyder-Walser, der Präsidentin der KKJV, Romilda Stämpfli, dem Chef Geschäftsfeld Haft des Amtes für Justizvollzug Bern, Manfred R. Stuber, dem Leiter der röm.-kath. Gefängnisseelsorge Andreas Beerli, dem Gefängnisseelsorger aus der Ostschweiz, Dr. Andreas Gäumann, und dem Geschäftsleiter des Vereines QuaMS (Qualitätssicherung der Muslimischen Seelsorge in öffentlichen Institutionen), Muris Begovic, aussprechen, welche tatkräftig am Text mitgewirkt haben.

Es ist meine Hoffnung, dass dies eine gute und nützliche Grundlage wird für eine gute und professionelle Zusammenarbeit.

Für den Vorstand des Schweiz. Vereines für Gefängnisseelsorge
Alfredo Díez, Präsident

Absichtserklärung zwischen der
Konferenz der kantonalen Leitenden Justizvollzug KKLJV und dem
Schweizerischen Verein für Gefängnisseelsorge

In Anwendung von Art. 29 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, des Artikel 15 der Bundesverfassung und der kantonalen Justizverordnungen nimmt die Gefängnisseelsorge ihre Aufgabe in den Justizvollzugseinrichtungen wahr. Die Gefängnisseelsorge ist ein anerkannter, wichtiger Bestandteil des Strafvollzugs, und die Arbeit der Seelsorgenden – auch ihre interdisziplinäre Kooperation mit den anderen Mitarbeitenden der Vollzugseinrichtungen – ist eine wichtige Dimension der Betreuung und Begleitung.

Folgende Absichtserklärung zwischen der Konferenz der kantonalen Leitenden Justizvollzug (nachfolgend KKLJV) und dem Schweizerischen Verein für Gefängnisseelsorge gilt als Leitlinie für alle Institutionen des Straf- und Massnahmenvollzuges. Im Nachfolgenden werden zentrale Erwartungen an alle Gefängnisseelsorgende, sowie die Institutionen des Justizvollzugs in der Schweiz aufgeführt.

Für die Gefängnisseelsorgenden gilt:

  1. Kenntnisse über die Grundrechte sowie Grundkenntnisse über den Justizvollzug und Justizvollzugseinrichtungen
  2. Wahrung des Amts- und Berufsgeheimnisses
  3. Einhaltung der Sicherheitsnormen
  4. Einhaltung der vereinbarten Besuchszeiten
  5. Pflege einer adäquaten Kommunikation mit der Institutionsleitung und dem Personal
  6. Einwandfreier Ruf und Leumund
  7. Erweiterte Sprachkenntnisse
  8. Anerkennung und Empfehlung durch die eigene Religionsgemeinschaft
  9. Theologische und seelsorgliche Kompetenz (in der Regel ein Theologiestudium)
  10. Nachweis einer Zusatzausbildung in der Gefängnisseelsorge (z.B. Deutschschweiz namentlich CAS «Seelsorge im Straf- und Massnahmenvollzug») oder «CAS – Muslimische Seelsorge in öffentlichen Institutionen»
  11. Grundkenntnisse der Weltreligionen
  12. Ökumenische und interreligiöse Offenheit
  13. Vertieftes Wissen und Erfahrung in Kriseninterventionen
  14. Hohe Reflexionsfähigkeit durch regelmässigen Erfahrungsaustausch, Supervision und Weiterbildung

Für die Vollzugseinrichtungen des Freiheitsentzuges gilt:

  1. Die Gefängnisseelsorge ist im System Gefängnis eingebunden.
  2. Die Pensen der Gefängnisseelsorge sind adäquat dotiert.
  3. Gefängnisseelsorgende erhalten institutionsrelevante Informationen.
  4. Seelsorge ist in der Vollzugseinrichtung «aufsuchende Seelsorge»: Sie geht auf die eingewiesenen Personen zu, unabhängig welcher Religion und Kultur sie angehören, und bietet ein Gespräch an.
  5. Gefängnisseelsorgende werden bei seelsorgerelevanten Situationen informiert
  6. Gefängnisseelsorgende erhalten Einblick in die Liste der inhaftierten Personen.
  7. Ist ein Zellenbesuch nicht möglich, wird ein geeigneter Gesprächsraum zu Verfügung gestellt.
  8. Der Besuch der Seelsorge wird der eingewiesenen Person als Arbeitszeit angerechnet, insofern dieses Angebot in die Arbeitszeit fällt.
  9. Religiöse Feiern, besonders zu hohen Feiertagen, werden angeboten.
  10. Das Abgeben von religiöser Literatur und religiösen Gegenständen sind Teil der Seelsorgearbeit. Die Literatur und/oder Gegenstände werden vorgängig von der Vollzugseinrichtung geprüft und können aus Gründen der betrieblichen Sicherheit und Ordnung abgelehnt werden.
  11. Bei auftretenden Problemen oder Konflikten soll der/die direkt Vorgesetzte der Seelsorgerin/des Seelsorgers, sofern der Fall nicht intern gelöst werden kann, beigezogen werden.
  12. Der Vorstand des Schweizerischen Vereines für Gefängnisseelsorge kann jederzeit kontaktiert werden.

Bern, 29. Oktober 2024